Was könnten mögliche Olympische Spiele in Tirol auslösen – bei Ihnen persönlich und in Tirol?
Karl Stoss: Bei mir eine unglaubliche Begeisterung, ich war schon 1976 als Zuschauer dabei. Ich bin aber ein strikter Gegner des Gigantismus – mit Sotschi, Pyeongchang und Peking hatten und haben wir drei Winterspiele, die in diese Richtung gehen. Wir müssen vom rein ökonomischen Prinzip weg! Es soll ein Sportfest werden, vor allem für die Jugend. Innsbruck und Tirol haben die Kompetenz, wir können das! Es ist eine einmalige Chance, uns vor der Welt zu präsentieren, allein aus Pyeongchang (Spiele 2018, Anm.) senden 500 TV-Stationen.
Christine Oppitz-Plörer: Ich war acht Jahre, als ich mit meinem Vater am Bergisel stand (1976, Anm.). Schon damals hatte ich das Gefühl: Da passiert etwas Großartiges. Es ist eine Chance, denjenigen, die eben mit der Schule begonnen haben, das zu zeigen. Winterspiele müssen wieder maßstäblich werden, der Sport im Vordergrund stehen.
Andrea Haselwanter-Schneider: Wir haben alle Probleme dieser Welt, mangelhafte Kinderbetreuung, 18.000 Leute sind arm trotz Arbeit. Plötzlich kommt das Allheilmittel Olympia, da sollen dann Milch und Honig fließen. Reduzierte Spiele gibt es nur auf dem Papier, wir haben die gleiche Anzahl an Bewerben und Sportlern wie bisher.
Gebi Mair: 1997 war die letzte landesweite Volksbefragung, damals auch zu Olympia. Es war schon damals nicht einfach zu entscheiden. In meiner Brust wohnen zwei Herzen: Ich sehe die Chance auf ein tolles Sport-Event, das uns groß ins Rampenlicht stellt. Andererseits könnten die Kosten davongaloppieren. Das Organisationsbudget lässt sich einhalten, aber was ist mit Zusatzwünschen? Günther Platter: Olympia löst bei mir große Emotion aus. 1964 war ich zehn Jahre alt, das war für mich sehr bewegend. Ich gewann damals ein Kinderrennen, Olympia rief eine Riesen-Begeisterung hervor. Über Vorbilder kann die Jugend zum Sport finden. Ich wünsche mir, dass meine Enkelkinder die Olympischen Spiele genauso erleben können wie einst ich. Für das Land sehe ich Chancen und Visionen: eine Modernisierung der Sportstätten, die wir ja schon alle haben. Ich selber bin Garant dafür, dass wir nicht in ein Abenteuer gehen. Was mich schon sehr wundert: dass man Olympia seitens der Liste Fritz missbraucht, um das politische Überleben zu sichern. In einer unglaublichen Emotion wird da argumentiert.
Haselwanter-Schneider: Das weise ich klar zurück. Mir geht es um die tagtäglichen Sorgen der Bevölkerung. Der Landeshauptmann hat sich um deren Sorgen zu kümmern und nicht um die des IOC (Internationales Olympisches Komitee, Anm.).
Platter: Es wird die öffentliche Hand keinen einzigen Euro kosten, dazu stehe ich als Finanzreferent. Das wurde seriös ausgerechnet. Wenn ich dann „Milliarden-Wahnsinn“ höre: Da wird die Bevölkerung von Ihnen mit unwahren Behauptungen in eine falsche Richtung getrieben.
Haselwanter-Schneider: Wir waren für die Jugendspiele, ja, sind aber nicht für die Olympischen Winterspiele. Das eine ist ein Dreiradler, das andere ein 40-Tonner.
Oppitz-Plörer: Ihr machts den Menschen nur Angst! Die Zusatzwünsche im Griff zu halten, das ist Aufgabe der Verantwortlichen in den Verhandlungen. Das ist bei einem kleinen Sportverein gleich wie bei den Jugendspielen und möglichen Winterspielen.
Platter: Wenn das IOC eine eigene Halle für die Eröffnung oder Schlussfeier will, wenn es irgendeine Nachforderung gibt, dann sagen wir „Nein“. Das IOC braucht uns dringend, um die Spiele dorthin zurückzubringen, wo sie schon einmal waren.
Mair: Wenn Schlechtreden eine olympische Disziplin wäre, dann wäre die Liste Fritz schon Olympiasieger. Auf der anderen Seite: Olympiaverdächtig ist die derzeitige Kampagne auch nicht. Man muss auf Chancen schauen, etwa ein Mobilitätskonzept für die Zukunft.
Platter: Wollen wir Ziele erreichen, etwa den zweispurigen Ausbau im Oberland? Oder – sollte Bozen mit der Eishalle bei Olympia dabei sein – der Brennerbasistunnel: Der wird dann, da bin ich mir sicher, fertig sein, und die Besucher werden dadurch in 45 Minuten statt in zwei Stunden wie derzeit von Innsbruck nach Bozen kommen. Olympia löst einen positiven Schub bei Investitionen aus, die wir nicht zu bezahlen haben. Zum Thema Sicherheit: Das Schlimmste ist, wenn man sich aus Angst nichts mehr traut. Narrische wird es immer wieder geben, aber deshalb kann ich meine Gewohnheiten nicht ändern. Dann siegt der Terrorismus. 1972 war der Wahnsinn bei den Olympischen Spielen in München (Terror, Anm.), wir waren 1976 an der Reihe, das klappte. Auch die EURO 2008, die ich als Innenminister erlebte, war sicherheitstechnisch perfekt organisiert. Kosten für ganz Österreich: 44 Mio. Euro. Die Kosten sind das eine, die weit höheren Steuereinnahmen das andere.
Haselwanter-Schneider: Das Schlimmste ist für mich, wenn man die Augen vor der Realität verschließt, die Leute haben Angst. Es liegen viele Fakten nicht auf dem Tisch, etwa die Sicherheitskosten. Bei der Rad-WM in Bergen sieht man, was für ein Finanz-Desaster herauskommen kann. Vancouver (Winterspiele 2010, Anm.) berechnete die Sicherheit mit 100 Mio. Euro, heraus kamen 600 Mio. Euro. Das IOC braucht uns als Versuchskaninchen für die vielgepriesenen Spiele neu. Das IOC hat einen Steuervorteil und wird sich mit den Gewinnen davonmachen.
Oppitz-Plörer: Da muss man die Zahlen aber hinterfragen. Die Sicherheitskosten in Vancouver wurden zusätzlich, neu und zu Vollkosten berechnet. Und die 44 Millionen Euro für die EURO 2008 galten für ganz Österreich, nicht nur für Tirol, und viele der Anschaffungen wurden zehn Jahre lang verwendet. Wenn Olympia, dann machen wir es mit Maß und Ziel und an die Stadt und das Land angepasst.
Stoss: Außer dem Kühtai ist alles mit der Bahn erreichbar, mit E-Bussen oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen könnte auch das kompensiert werden. Das sind vorgezogene Investitionen, die man nicht Olympia anrechnen kann, das gilt auch für den zweispurigen Ausbau bis St. Anton. Organisationsbudgets wurden seit 2002 bei allen Spielen eingehalten. Dass Sotschi viel Geld (geschätzte 50 Mrd. Euro, Anm.) in die Hand nahm, um ein Skigebiet zu bauen, ist eine andere Geschichte. Versuchskaninchen sind wir keines. Nach der Agenda 2020 wurden die Sommerspiele 2024 und 2028 vergeben, in Paris und Los Angeles sind auch 90 Prozent der Sportstätten vorhanden. Man nahm größte Rücksicht auf die Umwelt, so wird es auch bei uns sein. Investitionen wie Wohnungen am Innsbrucker Frachtenbahnhof kam man hingegen nicht Olympia anlasten, Wohnungen braucht man.
Mair: Ich zweifle ein wenig an den hehren Absichten des IOC. Das finden wohl auch viele Menschen, die sich um ihr Steuergeld sorgen.
Über diverse Vergaben von Sport-Großereignissen lag der Schatten der Korruption. Was ist mit dem Zuschuss des IOC?
Stoss: Bis zu eine Milliarde Euro fließt in die Organisation der Spiele, dieses Geld ist garantiert. Es kann auch mehr kommen, alle Zahlungen sind einsehbar. Was die Bewerbung anbelangt: Der Zeitraum, um ein Konzept zu präsentieren, ist auf ein Jahr begrenzt, zusätzliche Reisen von Funktionären gibt es nicht. Das IOC ist im Übrigen kein korrupter Haufen, das ist eine Verunglimpfung von Personen. Wenn Tirol am 15. Oktober Ja sagt, dann arbeiten wir unsere Forderungen aus und gehen in die Verhandlungen. Dort ist unsere Linie: Wenn ihr maßvolle Spiele wollt, sind wir dabei. Wenn aber Wünsche ans Christkind formuliert werden, dann nicht mit uns.
Oppitz-Plörer: Sogar das IOC verlangt, alle Zahlen zu veröffentlichen, man fordert die Transparenz ein. Ein Ja bei der Abstimmung heißt, dass unsere Arbeit erst anfängt. Bei einem Nein ist alles vorbei, dann geht nichts mehr.
Platter: Wir haben bei unserer Olympia-Frage zehn Grundsätze im Anhang, die sind für uns absolut bindend. Wenn wir einen Punkt verlassen, gibt es keine Zustimmung.
Haselwanter-Schneider: Das war ein Stichwort zur Fragestellung. Man hätte einfach fragen können: Sind Sie dafür oder dagegen? Man hätte die zehn Punkte durch den Landtag absegnen lassen können. Die Tiroler lassen sich nicht bevormunden. Und wir belästigen die Bürger nicht, mich rufen die Leute an und sagen: „Wir Paznauner sind für Olympia“ – das Plakat sei eine Belästigung. Ich will vor den Verhandlungen die Fakten kennen, darum geht es mir. Man will sich mit der Abstimmung am 15. Oktober einen Persilschein abholen.
Ist denn ein Verhandlungsspielraum gegeben, sobald es um mehr als die kalkulierten 1,175 Mrd. Euro Olympia-Budget geht?
Oppitz-Plörer: Ja, aber nur, wenn sich der IOC-Beitrag an uns erhöht. Bei den YOG wurde der Beitrag um 20 Prozent erhöht.
Stoss: Derzeit haben wir keine Zahlen, es gibt keine Bandbreite. Die Einnahmen bestimmen die Ausgaben, der Rest ist Verhandlungssache.
Es zählt nur das Tiroler Ergebnis. Gilt das auch, wenn die Befragung in Innsbruck negativ ausgeht?
Oppitz-Plörer: Aktuelle Entwicklungen stimmen mich positiv, der Bezirk Innsbruck-Stadt reagiert erstaunlich positiv. Innsbruck hat einen Bevölkerungsanteil von 17 Prozent in Tirol. Ein paar tausend Stimmen können nicht 300.000 bis 400.000 Stimmen aus ganz Tirol obsolet machen. 69 Prozent der Entscheidungen finden nicht in Innsbruck statt, sondern im ganzen Land. Das wäre kein gutes Signal an andere Bezirke, wenn sich Innsbruck das herausnehmen würde.
Mair: Über die Innsbrucker drüberfahren, sich über den Willen der Stadt hinwegsetzen, wird halt bei einem Nein schwierig. Kann etwa St. Anton Olympia übernehmen, wenn die Mehrheit im Ort dagegen ist?
Platter: Mit früheren Bewerbungen kann man das jetzt nicht vergleichen, das wird jetzt auf ganz Tirol ausgerollt. Was wäre es für ein Zeichen, wenn ganz Tirol damit befasst ist, dass man Olympia wegen eines Teilergebnisses nicht macht? Das Gesamtergebnis pickt.
Haselwanter-Schneider: Die Innsbrucker Grünen haben sich klar dagegen positioniert, wir brachten einen Dringlichkeitsantrag gegen die Fragestellung ein.
Die Kritik nach der EURO 2008 war seitens der Sportfunktionäre, dass wenig geblieben sei. Es muss was für den Sport bleiben – gibt es so ein Konzept?
Platter: Das hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Es muss einen Nutzen für Vereine und Verbände geben, ein Überling bei Olympia wird für verschiedene Einrichtungen verwendet. Ich will das Sportland Tirol zusätzlich ausstatten. Da geht es nicht nur um Skisport, sondern alle Sportarten und Vereine.
Haselwanter-Schneider: Wenn man sich umhört, heißt es, von der EURO sei nichts geblieben. Sicher tat sich kleinweise etwas. Aber alle 2500 Sportvereine im Land bekommen neun Mio. Euro – eine andere Dimension als das, was in Olympia investiert wird. Und zur YOG: Damals budgetierte man mit 15 Mio., dann stieg das auf 24 Mio. an. Und warum funktioniert das bei Olympia auf einmal mit dem Teuerungsstopp? Warum geht das nicht sofort? Es fließen jetzt Milch und Honig.
Platter: Wenn die Kammerpräsidenten klare Ansagen machen, kann man davon ausgehen, dass das funktioniert. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun.
Die Protagonisten der Tiroler Bewerbung wirken siegessicher. Gibt es Absprachen?
Platter: Ausgemacht ist natürlich nichts, aber die Chancen sind gut.
Stoss: Es gibt bei den Mitbewerbern nur kolportierte Namen wie Sion, Calgary, Sapporo, amerikanische Städte, Stockholm, Erzurum (TUR). Es bleiben wohl drei bis vier ernsthafte Kandidaten übrig.
Welche Rolle spielt das Tiroler Abstimmungsergebnis, was erwarten Sie?
Stoss: Für das IOC ist das genaue Ergebnis irrelevant, es müssen nur mehr als 50 Prozent sein. Es gibt keine Vorgaben, das Verhandlungsmandat ist mit größerer Zustimmung natürlich stärker. In Kasachstan gibt es gar keine Abstimmung, aber als Diktat will das IOC kein Olympia.
Wie geht die Befragung am 15. Oktober aus?
Platter: Es gibt ein positives Gesamtergebnis.
Mair: 50:50, ein paar Stimmen werden den Ausschlag geben.
Haselwanter-Schneider: Knapp, aber negativ.
Oppitz-Plörer: Es wird ein knappes Ergebnis.
Stoss: Es wird deutlich positiv. Man muss die Argumente der Gegner ernst nehmen. Ich glaube: Das Pro liegt näher bei 60 als bei 50 Prozent.
Den runden Tisch für die TT moderierten Alois Vahrner, Manfred Mitterwachauer und Florian Madl
Zum Nachlesen:
Tiroler Tageszeitung vom 05. Oktober 2017 – Onlineausgabe
Tiroler Tageszeitung vom 06. Oktober 2017 – Printausgabe Teil I
Tiroler Tageszeitung vom 06. Oktober 2017 – Printausgabe Teil II