TT-Sommergespräch 2020 mit Andrea Haselwanter-Schneider!

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Seit Monaten üben Sie massiv Kritik an Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (VP). Würden Sie sich zutrauen, seinen Job volley zu übernehmen?

Andrea Haselwanter-Schneider: Das traue ich mir jedenfalls zu, ich bin ja eine ausgewiesen­e Pflege­expertin und habe eine Gesundheitsausbildung. Ich würde allerdings immer mit den Betroffenen reden, die Menschen einbeziehen und nicht nur Politik vom Schreibtisch aus machen.

Bedauern Sie, dass Sie nicht auch einmal gestalten können? Schließlich ist die Liste Fritz ja strikt auf Opposition gebürstet.

Haselwanter-Schneider: Aufgrund meines Gestaltungswillens tut es schon oft weh, zuschauen zu müssen, was manche daraus machen. Schwarz-Grün agiert nämlich wie eine Schönwetterregierung. Solange keine Wolken am Himmel sind und sie repräsentieren sowie „inventisieren“ kann, funktioniert ihre Politik. Aber die Corona-Krise hat die Schwächen dieser Regierung schonungslos offengelegt. Wenn Wolken aufziehen, ist die Regierung in der Schutzhütte.

Als Opposition ist es immer leichter zu kritisieren. Haben Sie nie an eine Regierungsbeteiligung gedacht?

Haselwanter-Schneider: In dieser Konstellation kann die Liste Fritz nicht in eine Regierung gehen. Schauen Sie sich an, wie es den Grünen derzeit geht oder wie es seinerzeit bei der SPÖ war. Die ÖVP schafft an, die anderen haben nichts zu sagen und sind lediglich die Trittbrettfahrer: Sie müssen die Politik der ÖVP irgendwie mitmachen. Wo sind heute noch die grünen Ideen?

Aber kann man der ÖVP vorwerfen, dass sie bei der Landtagswahl 44,2 Prozent erreicht hat?

Haselwanter-Schneider: Ich werfe ihr nichts vor, die Frage ist nur, welche Gestaltungsmöglichkeit ich als kleiner Regierungspartner habe. Nämlich gar keine. Man sollte die ÖVP einmal alleine regieren lassen, dann müsste sie sich wechselnde Mehrheiten im Landtag suchen. Die würde sie auch finden.

Wäre das eine bessere Variante als die aktuell­e schwarz-grüne Landesregierung?

Haselwanter-Schneider: Sicher die bessere als die derzeitige. Außerdem waren wir immer Befürworter für das freie Spiel der Kräfte.

Die Liste Fritz wurde vom ehemals hochrangigen ÖVP-Funktionär Fritz Dinkhauser gegründet. Wie viel ÖVP steckt noch in ihr?

Haselwanter-Schneider: Keine mehr. Die Liste Fritz ist eine Bürgerbewegung, wir sind völlig unabhängig, keine Befehlsempfänger und keine „Handlaufheber“. Und ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet.

Doch mit Ausnahme von 2008 kämpfen Sie immer wieder mit dem Wiedereinzug in den Landtag. Auch in Innsbruck schaffte die Liste Fritz nur ein Mandat. Offenbar gehen die Bürger nach wie vor lieber zu angestammten Parteien. Schmerzt Sie das?

Haselwanter-Schneider: Ob es weh tut oder nicht: Wir sind seit zwölf Jahren mit Herzblut und Engagement in der Politik, bleiben konsequent an den Themen dran und probieren, eine skandalfreie und ehrliche Politik zu machen. Wem das etwas wert ist, der muss uns schlussendlich auch wählen.

Warum passiert das nicht? Fühlen Sie sich unterbewertet an der Wahlurne?

Haselwanter-Schneider:

Nein, der Wähler hat immer Recht. Natürlich hätten wir uns vor allem 2018 mehr erwartet. Deshalb muss es uns gelingen, viel mehr Menschen zu ermutigen, dass es im Land bunter wird. Das trifft auch auf die Gemeinderatswahl 2022 zu. Ich will die Mutmacherin für Menschen sein, die einen frischen Wind möchten. Buntheit in den Gemeindestuben tut den Gemeinden genauso gut wie dem Land.

Wäre die Liste Fritz nach der nächsten Landtagswahl bereit, von ihrem Dogma „Nur Opposition“ abzurücken?

Haselwanter-Schneider: Wir können uns alles vorstellen und sind offen für vieles. Aber entscheidend sind die Bedingungen. Um jeden Preis können wir sicher nicht mitregieren.

Politisch waren die vergangenen Monate von Rücktrittsaufforderungen geprägt. Eine zufällige Häufung oder Ausdruck einer Schwäche in der Regierung?

Haselwanter-Schneider: In der schwersten Wirtschafts- und Sozialkrise funktioniert die Schönwetterpolitik von Landeshauptmann Günther Platter (VP) nicht mehr. Jetzt müsste die Regierung Stärke zeigen und inhaltlich die Ärmel raufkrempeln.

Sie klingen jetzt wie Fritz Dinkhauser. Wo muss angepackt werden?

Haselwanter-Schneider: Bei Swarovski stehen 1800 Menschen vor der Kündigung und Wirtschafts-LR Patrizia Zoller-Frischauf hat sich dazu noch nie geäußert. Das kann es doch nicht sein. Das Land hat zwar die Vorzeigebetriebe hofiert, aber wo waren die Neuansiedelungen? Ich habe sie nicht gefunden. Das Problem ist, dass die ÖVP-Landesräte schon zu lange im Amt sind. In dieser Krise benötigt man jetzt die allerbesten Köpfe, die das Land wieder nach vorne bringen.

Kann Platter das Land aus der aktuellen Krise herausführen?

Haselwanter-Schneider: Platter wirkt müde. Er hat das auch in der Krise gezeigt, weil der Landeshauptmann eine ganz schlechte Krisenkommunikation hatte. Er hat uns im März nicht einmal über die beabsichtigte Vollquarantäne Tirols informiert, das mussten wir dann aus den Medien erfahren. Günther Platter fehlt der Esprit, er müsste sich eigentlich auf die Hinterfüße stellen.

Wie soll das aus Ihrer Sicht gelingen?

Haselwanter-Schneider: Indem er sich die besten Köpfe holt und sich nicht immer von denjenigen beraten lässt, die mit ihm im eigenen Saft braten. Er braucht wirkliche Experten an seiner Seite, dann könnte es gelingen.

Wie geeint ist die Opposition im Land als Gegenpol zur schwarz-grünen Regierung?

Haselwanter-Schneider: Bekanntlich ist die Liste Fritz Motor in der Opposition und wir versuchen, das abgestimmte Vorgehen voranzutreiben. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam stärker sind. Aber wir haben halt einen Partei- und Klubobmann, der ein Selbstdarsteller ist.

Georg Dornauer?

Haselwanter-Schneider: Ja, der SPÖ-Chef macht immer seine eigenen Geschichten. Mit Markus Abwerzger (FPÖ) und Dominik Oberhofer von den NEOS kann man sich abstimmen. Aber mit Dornauer ist es schwierig. Mir geht es nicht um meine eigenen Geschichten, sondern um die Menschen im Land. Nach zwölf Jahren Platter-Regierung öffnet sich die Schere im Land zwischen Einkommen, Leben und Wohnen immer weiter. Corona beschleunigt das Auseinanderdriften.

Ist Wohnen ein Beispiel dafür, wo Sie Stillstand im Land festmachen?

Haselwanter-Schneider: Vom leistbaren Wohnen sind wir weiter entfernt denn je. Früher konnte sich jemand in Tirol noch Eigentum schaffen, jetzt muss man zur Generation der Erben gehören. Sonst ist es nahezu unmöglich. Wie können sich junge Menschen in Tirol wieder etwas leisten, sollte die zentrale Frage sein.

Und die Antworten darauf?

Haselwanter-Schneider: Zuerst müssen wir Fehlentwicklungen stoppen. In Innsbruck gibt es zu viel Leerstand, in vielen Bezirken sehen wir wiederum den Ausverkauf des Landes. Wir bauen Chaletdörfer, es gibt zu viele Freizeitwohnsitze oder Investorenmodelle. Das treibt die Immobilien­preise für die einheimische Bevölkerung nach oben. Deshalb muss sich vor allem die ÖVP einmal trauen, hier den Riegel vorzuschieben. Und die Landesregierung müsste endlich das gewidmete Bauland mobilisieren.

Soll rückgewidmet werden?

Haselwanter-Schneider: So weit würden wir nicht gehen. Aber es gibt umgelegt 4500 Fußballfelder, die gewidmet, aber nicht bebaut sind. Man sollte den Besitzern ein Angebot machen und gemeinsam eine Lösung finden, wie das Land zu leistbarem Grund kommen könnte. Leider kommen die Landesräte ihrem Auftrag nicht nach. Auch in der Gesundheitspolitik. Den Misstrauensantrag gegen Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg haben wir sicher nicht aus Jux und Tollerei gemacht.

Was sagen Sie zum immer wieder geäußerten Vorwurf, die Liste Fritz kritisiere einfach nur alles und jedes?

Haselwanter-Schneider: Kontrolle und Kritik sind notwendig. Weil uns das Land so am Herzen liegt, müssen wir die Finger in die Wunden legen.

So nach dem Motto, wer sein Land liebt, muss es auch kritisieren?

Haselwanter-Schneider: Gerade in den vergangenen Monaten ist vieles nicht richtig gelaufen. Wir müssen zu den Fehlern stehen und am Schluss sagen, was wir besser machen werden. Corona hat uns gelehrt, dass es so nicht weitergehen kann. Tirols Image hat Schaden genommen, deshalb muss man gegensteuern. Ständig zu behaupten, wir haben alles richtig gemacht, hat unserem Image nicht gerade gutgetan. Deshalb brauchen wir jetzt schon einen Plan für den Winter. Gerade für den Tourismus, um das Tirol-Bild zu korrigieren. Halligalli wird sich nicht spielen, wir sollten es ruhiger angehen und das auch verkaufen. Schließlich hat Qualitätstourismus ja auch einen großen Stellenwert.

Interview aus der Tiroler Tageszeitung vom 09. August 2020. Das Gespräch führte Peter Nindler.